Dr. Jens-Uwe Martens

Persönlichkeits-Coach, Autor & Berater seit 1967

In Sorge um Deutschland

Eigentlich geht mich das alles ja nichts mehr an! Ich bin über 80 Jahre alt und bis ich diese Welt verlasse, wird es schon nicht mehr so schlimm werden!?

Aber diese „Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität“ liegt mir gar nicht – und schließlich habe ich Kinder und Enkel. Welches Deutschland hinterlassen wir diesen? Was antworte ich ihnen, wenn sie mich fragen: Was hast Du gegen den Untergang von Deutschland getan?

Aber natürlich höre ich auch eine andere Stimme in mir: „Sind deine Sorgen nicht übertrieben? Hat das nicht mit deinem Alter zu tun? Du warst doch früher auch nicht so pessimistisch!?“

Ich kenne viele Menschen, die mich zu beruhigen versuchen: „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Du wirst sehen, wir erleben nur eine wirtschaftliche Delle, der nächste Aufschwung wartet schon und dann wird alles viel besser!“

Wirklich?

Lasst mich aufzählen, was mir besondere Sorgen macht:

  • Unsere Wirtschaft schwächelt, wir sind, was das Wirtschaftswachstum betriff, das Schlusslicht Europas.
  • Die Inflation ist hoch und will nicht heruntergehen.
  • Wir leben heute primär von der Hoffnung: der Hoffnung, dass erneuerbare Energien unsere Energieprobleme lösen werden und einen Aufschwung bringen – aber alle Zahlen sprechen bisher dagegen.
  • Unsere darbende Wirtschaft ist immer noch in hohem Maße von einem autoritär geführten Land (China) abhängig, obwohl wir doch gerade eine Lektion erhalten haben, wie gefährlich das ist. Wir hofften, dass Putin alle Verträge einhalten und sich friedlich verhalten würde. Jetzt hoffen wir, dass China „vernünftig“ bleiben wird und wir unsere Geschäfte mit diesem Regime in aller Zukunft fortführen können.
  • Mit Schrecken haben wir entdeckt, dass unsere Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten die Bundeswehr kaputtgespart haben. (Wir waren überzeugt – ich muss gestehen: auch ich –, dass es in Europa es den nächsten Jahrzehnten keinen Krieg geben wird).
  • Aber wir haben – so erfahre ich immer häufiger aus den Nachrichten – offensichtlich auch die Infrastruktur in Deutschland, die Bundesbahn, die Brücken, die Straßen kaputtgespart.
  • Haben wir in den vergangenen Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt? Haben wir unterschätzt, welche langfristigen, auch wirtschaftlichen Gefahren in dem billigen Gas aus Russland liegen?
  • Wir glauben das Flüchtlingsproblem aus unserem Bewusstsein verbannen zu können – und verschließen die Augen vor den Millionen, die in unser gelobtes Land fliehen wollen.
  • Unsere Regierung war überzeugt, dass die digitale Revolution ein Thema ist, das nur, oder vor allem, die Firmen betrifft. („Die Wirtschaft wird es schon richten. Am besten, die Politik mischt sich nicht ein!“) Heute stellen wir fest, dass wir auch hinsichtlich dieser Zukunftstechnologie zumindest in der Verwaltung und in der Bildung deutlich ins Hintertreffen geraten sind.
  • Unabhängig von der Digitalisierung in der Bildung: Die Probleme der Bildung allgemein oder die der Schulen insbesondere wurden – von einigen Sonntagsreden ausgenommen – von der Politik einfach nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Auch in den jüngsten Beschlüssen unserer Bundesregierung kommt dieses Thema nicht vor. (Damit sind ja auch kurzfristig keine Wählerstimmen zu gewinnen und außerdem ist das ja Ländersache, da kann die Bundesregierung sowieso nichts machen.) Wie kann man dieses wichtige Thema ignorieren, obwohl uns inzwischen auch international die schlechtesten Noten ausgestellt werden und wir außer einer möglichst hohen Qualifikation in Deutschland nichts zu bieten haben: Wir haben keine Rohstoffe, von denen wir leben könnten.
  • Und dann kommt auch noch der Klimawandel, oder besser: die Klimakrise. Es werden immer neue Ziele formuliert, aber selten welche eingehalten.
  • Über die anderen globalen Probleme wie die Umweltverschmutzung, das Artensterben oder die Krisen, die ihre Ursache in der sich immer weiter öffnenden Scherre zwischen Arm und Reich haben, will ich hier gar nicht reden. Auch hier lautet das besänftigende Motto: Es wird schon nicht so schlimm werden. Die Menschheit ist schon mit anderen Herausforderungen fertig geworden.

Als Nutznießer all dieser Probleme, bzw. aus der Tatsache, dass sich die Politik offensichtlich überfordert fühlt – oder überfordert ist – wächst der Einfluss der Extremisten, zu allererst der rechtsextremen Politiker.

Noch einmal: Bin ich einfach ein Pessimist geworden? Ist alles doch nicht so schlimm? Warum teilen so wenige Menschen in meinem Bekanntenkreis so selten meine Sorgen? Warum engagieren sich so wenige gegen diese Missstände? Ausnahme ist natürlich die Klimakrise. Aber ist sie wirklich unser einziges Problem, ist es wirklich das gravierendste Problem in Deutschland, oder das wichtigste Problem, bei dem Deutschland einen entscheidenden Beitrag leisten kann und muss?

Ich werden leider den Eindruck nicht los, dass die Zeiten, in denen die an der Spitze stehenden Politiker sich wirklich primär um das Wohl Deutschlands gekümmert haben, leider vorbei sind. Heute kümmern sie sich primär darum, dass ihr Image nicht leidet, damit sie wiedergewählt werden und sie sich „irgendwie durchwursteln“.

Wenn erst die Probleme und Krisen so akut geworden sind, dass Beschwichtigungen nicht mehr ausreichen, dann wird sich bei der Mehrzahl der Menschen Angst breit machen. Das ist die schlechteste Ausgangsbedingung, eine wirklich effektive Lösung zu finden. Dann werden Hysterie, Schuldzuweisung und negative Gefühle wie Hass und Neid und in ihrer Folge Lügen und Verschwörungstheorien im Vordergrund stehen und unser Verhalten bestimmen. (Einen kleinen Vorgeschmack hat uns die Corona-Pandemie beschert.) Dann ist es für rationale Lösungen zu spät. Dann wird man – wie so oft in der Geschichte, nicht nur in Deutschland – nach dem „starken Mann“ rufen, der uns einzureden versucht, dass er den Schuldigen gefunden hat und der mit Hilfe der verführten Massen die Demokratie zerstört. Gerade Deutschland müsste diese Gefahr gut kennen. Der Zulauf zur AfD könnte ein Warnzeichen sein, wenn man denn dieses wahrnehmen wollte.

Wo sind die Kräfte in Deutschland, die das Steuer herumreißen können?

Bin ich wirklich nur zu einem Pessimisten geworden?

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