Sind Computer klug?
Heute möchte ich einen Beitrag mit Euch, liebe Freunde und Bekannte teilen, den ich eigentlich nicht schreiben sollte, denn viele von Euch werden sagen: Was interessiert mich die Meinung eines alten Opas, der verständlicher Weise nie so richtig vertraut mit den modernen Geräten geworden ist, die man heute zusammengefasst „Computer“ nennt? Was geht uns die Meinung eines „älteren Mannes“ an, der von seinen Kindern immer wieder mitleidsvoll belächelt wird, wenn er wieder einmal einen Fachbegriff aus diesem Bereich falsch gebraucht hat oder hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologie korrigiert werden muss?
Andererseits sind diese „Geräte“ auch aus meiner Welt natürlich nicht wegzudenken. Als legasthenischer Autor liebe und genieße ich meinen Laptop, der mir nicht nur das Schreiben wesentlich erleichtert und beschleunigt, der mir auch noch den Großteil der Fehler, die mir beim Schreiben unterlaufen, korrigiert oder anzeigt. (Ohne Computer hätte ich sicher keine oder sehr viel weniger Bücher geschrieben.) Aber natürlich mache ich mir nebenbei Gedanken, wo das alles hinführt, auch wenn ich davon nicht betroffen bin.
Aber bin ich wirklich nicht betroffen?
Der Computer erobert unsere Welt, wir nutzen die Datenverarbeitung immer öfter und lassen uns von ihr immer wieder und immer öfter helfen.
Wenn wir unterwegs sind sagt uns der Computer welches der schnellste Weg ist; wenn wir einen Partner suchen sagt uns ein Computerprogramm mit wem wir am besten zusammenpassen; den Firmen sagt er – zumindest in einer Vorauswahl – welcher Bewerber für die Stelle am besten geeignet ist, um nur einige Beispiele zu nennen, die man weiter fortführen könnte und in der Zukunft kommen sicher viele neue Beispiele hinzu.
Zunächst war der Computer zum Rechnen gedacht, dann zeigte es sich, dass er auch hinsichtlich des Wissens und der Erinnerungsleistung dem Menschen haushoch überlegen ist. Seit die Künstliche Intelligenz (KI) Einzug genommen hat, müssen wir akzeptieren, dass Computer auch „intelligente Leistungen“ vollbringen, die wir einer Maschine nicht zugetraut hätten und auch bei diesen selbst den kleversten Menschen überlegen sind. Ein Computerprogramm besiegt nicht nur die besten Schachspieler, sondern spätestens seit im März 2016 hat ein solches Programm (Alpha Go) den Weltmeister im Go-Spiel Lee Se-dol besiegt. Spätestens seit diesen spektakulären Leistungen weiß man, dass der Computer auch die Fähigkeit hat, komplexe Zusammenhänge und Muster schnell zu erkennen und Schlüsse daraus zu ziehen — schneller und besser als der beste Mensch. Dabei gab es keinen Computerprogrammierer, der extrem gut Go spielen konnte und den Computer entsprechend programmiert hat, sondern das Computerprogramm hat Millionen Spiele gegen sich selbst gespielt und dabei gelernt, wie man seinen Gegner besiegt.
Im November 2019 hat der Weltmeister sogar seinen Rücktritt angekündigt, mit der Begründung: Künstliche Intelligenz könne nicht besiegt werden. Dabei ist das Go-Spiel das komplexeste Brettspiel auf diesem Planeten. Ich habe einmal gelesen, dass es mehr Kombinationen auf dem Go-Brett als es Atome im Universum gibt.
Wenn also Alpha Go, das von der Firma Deep-Mind mit künstlicher Intelligenz entwickelte Programm ein besonders komplexes Brettspiel besser spielt, als jeder Mensch, dann ist dieses Programm offensichtlich intelligenter, als jeder Mensch, denn die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge und Muster zu erkennen und Schlüsse daraus zu ziehen, ist die Definition von Intelligenz und darauf kam es beim Go-Spielen an.
Es ist also nur folgerichtig, dass wir immer mehr Entscheidungen einem Computerprogramm überlassen und uns daher zum Beispiel in naher Zukunft auch einem Computerprogramm anvertrauen, der unser Auto sicher durch den Verkehr bringt, ohne dass wir eingreifen. Die Entwickler betonen: es wird weniger Verkehrsunfälle geben.
Ist das wirklich folgerichtig? Wollen wir uns wirklich von einem Computerprogramm fahren lassen?
Dass mit Hilfe von Computerprogrammen die Sicherheit des Autofahrens verbessert wird, etwa indem das Auto rechtzeitig erkennt, wenn wir auf ein Hindernis auffahren und automatisch bremst, oder ähnliche nützliche Reaktionen einprogrammiert sind, die uns beim Fahren unterstützen, ist sicher richtig und sehr zu begrüßen. Aber will ich es einem Computerprogramm überlassen, in einem kritischen Fall zu entscheiden, ob es bei einer brenzligen Situation entscheidet, ob es lieber ein Kind verletzt als einen Prominenten, wenn sich nicht vermeiden lässt, mit einem der beiden Personen zusammenzustoßen?
Kommt es wirklich auf die „kalte“ Intelligenz eines Computers an, wenn es gilt Wahrscheinlichkeiten auszurechnen und danach zu handeln, so wie es heute schon die Programme der Kapitalsammelstellen in den USA und anderswo tun.
Will ich mich wirklich der „Intelligenz“ eines Computers anvertrauen, wenn es darum geht zu entscheiden, wann und wieviel Training ich mache, um gesund zu bleiben? Auch solche Computerprogramme gibt es schon.
Brauchen wir nicht eher Klugheit als Intelligenz? Und ist uns ein Computer auch hinsichtlich Klugheit überlegen? Worin liegt also der Unterschied?
Ich möchte hier ein Erlebnis einfügen, das ich vor vielen Jahrzehnten hatte, einer Zeit, in der man sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte, wie sehr heute der Computer unseren Alltag bestimmt.
Ich war mit meiner damaligen Frau das erste Mal im Urlaub auf Mallorca. Wir waren beide Anfang 20 und sehr verliebt. Aber auch ein verliebtes Paar braucht ab und zu ein paar Erholungsphasen und ich spielte damals gerne Schach. Ich fragte also meine Frau, ob sie nicht auch dieses Spiel lernen wollte. Sie stimmt zu. Ich brachte ihr also an einigen Abenden im Urlaub das Schach-Spielen bei. Sie lernte schnell und hatte auch große Freude daran. Schon nach wenigen Tagen musste ich aufpassen, dass sie mich nicht besiegte. Als sie wieder einmal einen besonders geschickten Zug mit ihrem Springer machte, der mich in Bedrängnis brachte, fragte ich sie, welche Überlegungen sie zu diesem Zug angestellt hat. Ich erwartete, dass sie mir sagt, dass sie damit meine Stellung gefährden wollte und dass sie sich überlegte, welche Erwiderungen für mich in Frage kommen, auf die sie dann entsprechend vorteilhaft reagieren würde.
Ich war ziemlich überrascht, als sie nur antwortete: Ich finde, mein Pferd sieht auf diesem Platz, den ich ihm jetzt zugewiesen habe, besser aus.
Ganz offensichtlich spielte meine Frau nicht mit dem „kalten“ Intellekt Schach, sondern hat auch andere Bereiche des Gehirns aktiviert, solche, die ich eher mit Ästhetik oder Intuition, man könnte auch sagen mit Gefühl in Verbindung bringe, aber nicht mit einem rein intellektuellen Schachspiel.
Wir Menschen haben mehrere Fähigkeiten, wir sind — zum Glück — nicht auf unseren Denkapparat angewiesen, wenn es um schwierige, komplexe Entscheidungen geht. Wir lassen dann an unseren „Überlegungen“ Hirnregionen mitwirken, die uns gar nicht ganz bewusst sind. Wir nennen das oft „Bauchgefühl“, „Eingebung“ oder eben „Intuition“.
Julius Kuhl, ein angesehener Persönlichkeitspsychologe aus Osnabrück, nennt diesen Bereich das „Extensionsgedächtnis“ in dem nach seiner Überzeugung alle, vor allem alle emotional gefärbten Erlebnisse gespeichert sind, die wir jemals hatten. (Vielleicht sogar wichtige Erlebnisse unserer Vorfahren??) Bei unseren Entscheidungen spielen also Gefühle auch eine Rolle, Gefühle wie Harmonie, Schönheit, Zuwendung oder sogar Liebe, Hass, Rache, Verzeihen wollen usw.
Klugheit wird im Gegensatz zur Intelligenz folgendermaßen definiert:
„Klugheit ist die Fähigkeit zu angemessenem Handeln im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller für die Situation relevanten Faktoren, Handlungsziele und Einsichten, die der Handelnde kennen kann. (Wikipedia)
Während sich Intelligenz auf das allgemeine Erkennen von Zusammenhängen bezieht, meint also Klugheit das „angemessene Handeln im konkreten Einzelfall“.
„Angemessen“ ist natürlich ein sehr interpretationsfähiger Begriff. Was ist „angemessen“ im Einzelfall. Das hängt in jedem Fall von den Umständen ab, den Umständen außerhalb des Handelnden, aber auch solchen innerhalb, also seine Erlebnisse, die er vor langer Zeit oder kürzlich hatte, und die für den Einzelfall relevant sein könnten, das Wertegerüst, das der Betreffende sich im Laufe seines Lebens gebildet, z. B. von den Eltern oder anderen Bezugspersonen übernommen hat. Hier spielen so viele Einflussgrößen eine Rolle, dass wir total überfordert sind, wenn wir uns diese einzeln bewusst machen und bewerten wollten. Das übernimmt das Extensionsgedächtnis. Und in vielen Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Entscheidungen, die dabei herauskommen, besser sind, als die bewussten Entscheidungen, bei denen — auch das hat man untersucht — bei uns Menschen maximal sieben Einflussgrößen Berücksichtigung finden.
Bei dem Entscheidungsprozess kommt es also auf Gefühle, wir können auch sagen, auf emotionale Bewertungen an. Diese machen mich aus. Hinsichtlich dieses emotionalen Wertegerüsts, das mir nur zum Teil bewusst ist, unterscheide ich mich von anderen Menschen, das ist mein „Selbst-Bewusstsein“ im ursprünglichen, wörtlichen Sinn.
Ein solches Wertegerüst hat kein Computer und es ist auch nicht programmierbar, denn dann müsste jeder seinen eigenen Computer haben, mit einer je anderen Programmierung und — wie schon gesagt — sind viele der Wertungen uns gar nicht bewusst und damit auch nicht programmierbar.
Sollten wir also einige (private, personenbezogene) Entscheidungen nicht doch besser uns Menschen überlassen? Sollten wir nicht langsam darüber diskutieren, wo die Grenzen der Computer liegen, oder gibt es keine Grenzen? Entspricht diese Unterscheidung, die ich hier treffen, nur einem romantischen Gefühl, das die Überlegenheit einer Maschine gegenüber dem Menschen nicht anerkennen will? Möchte ich nicht glauben, dass mich eines Tages bei meinem persönlichen Coaching ein Computer ersetzen kann, da auch er Empathie gelernt hat?
Mich würde sehr Ihre Meinung, lieber Leser interessieren.