Über den Wunsch glücklich zu sein
Liebe Leser meines Blogs! Heute schicke ich Euch einen Text gleichsam in „eigener Sache“. Es geht um das Thema Glück im Sinne von Glücklich-Sein, oder Zufriedenheit, manchmal werden auch Begriffe wie Erfüllung oder Glückseligkeit verwendet. Mit diesem Thema beschäftige ich mich mehr oder weniger seit meinem 14. Lebensjahr, also heute 70 (!) Jahre lang.
Ich habe auch schon ein Buch zu diesem Thema geschrieben, mit dem ich allerdings nicht sehr zufrieden bin. Ich plane daher einen neuen Versuch zu starten und daher sind Kommentare von Euch ganz besonders willkommen.
Blog über den Wunsch glücklich zu sein
von Jens-Uwe Martens
In meiner Pubertät fragte auch ich mich – wie so viele in dieser Umbruchphase – was ich mit dem, was man „Leben“ nennt anfangen soll. Wozu ich hier bin? Was soll ich auf diesem Planeten? Ich war vielleicht 14 Jahre alt, als mir plötzlich bewusstwurde, welches Ziel ich in meinem Leben verfolgen will. Diese Erkenntnis empfand ich als so wichtig, dass ich eine Doppelseite meines Tagebuchs darauf verwendete, diese vier Worte in große Lettern festzuhalten:
ICH MÖCHTE GLÜCKLICH WERDEN
Das Bild dieser Doppelseite habe ich heute noch vor Augen und ich bin seitdem diesem Ziel treu geblieben.
Für mich lag das wohl deshalb nahe, weil ich ein paar Jahre vorher wegen einer Hüfterkrankung mit Unterbrechungen ein ganzes Jahr im Krankenhaus lag. Ich war wegen eines Steckverbandes gleichsam ans Bett gefesselt, durfte es nicht verlassen. Die Klink befand sich in Bad Tölz, ca. 100 km von meiner Familie entfernt, die damals in München lebte. Zu dieser Zeit, 1947, hatten wir kein Auto und die Züge waren oft so überfüllt, dass meine Mutter, die mich eigentlich jede Woche besuchen wollte, nicht in den Zug hineingekommen ist. Natürlich hatten wir Patienten kein Radio (Fernsehen gab es noch nicht) und als Spielzeug hatte ich nur drei Puzzle-Spiele. Ich habe mich manche Nacht in den Schlaf geweint. Ich hatte ausführlich erlebt, was es heißt, unglücklich zu sein.
Ich fühlte mich mit meinem Wunsch glücklich zu sein auch in guter Gesellschaft, denn immerhin hat Aristoteles, laut Wikipedia einer der „bekanntesten und einflussreichsten Philosophen und Naturforscher der Geschichte“, in seiner Nikomachischen Ethik ca. 400 Jahre vor Chr. geschrieben, dass „alle Menschen glücklich sein wollen“. Dass diese Überzeugung auch in unseren Tagen nicht „veraltet“ ist, beweist der amtierender Dalai Lama, das höchste spirituelle und weltliche Oberhaupt des von den Chinesen annektierten Land Tibet. Auch der Dalai Lama schreibt in seinen Büchern häufig: „Ich denke, dass der Sinn des Lebens darin besteht, glücklich zu sein.“
Unter der heutigen Jugend ist dieses Ziel allerdings nicht mehr sehr aktuell. Wenn man einen der in den sozialen Medien aktiven Menschen fragt, ob sie lieber glücklich oder berühmt sein und viele Follower haben wollen, vielleicht sogar auf der Titelseite eines angesehenen Magazins abgebildet sein wollen, dann entscheiden sich die meisten ganz spontan, für das Berühmtsein. (Probieren Sie es einmal aus!) Sonst würden sie sich wohl auch nicht laufend mit ihren Kollegen vergleichen, denn dass dieses Vergleichen eher negative Gefühle hervorruft, ist wohl inzwischen zu einem Allgemeinwissen geworden.
Aber nicht nur im Internet kann man beobachten, dass viele Menschen offensichtlich nicht nach persönlichem Glück, sondern eher nach dem Gegenteil, einem möglichst großen Unglück streben. Zum Beispiel beschäftigen sich viele Menschen fast ausschließlich damit, wie schlecht es uns geht und wieviel Sorgen wir haben. Das hat auch Paul Watzlawick dazu gebracht, ein Buch mit dem Titel „Anleitung zum Unglücklich werden“ zu schreiben, in dem er ausführt, wie man im Alltag möglichst Unglücklich werden kann.
Tatsächlich ist das mit dem Glücklich-Sein eine zweischneidige Sache. Wer glücklich ist, muss damit rechnen, dass er besonders tief fällt, wenn er es einmal nicht mehr schafft, auf der Sonnenseite des Lebens zu wandeln, und er muss sich darüber hinaus der vielen Neider erwehren, die ihre Missgunst über einen ausbreiten.
Darf man denn überhaupt egoistisch nach persönlichem Glück streben, wo wir doch überall, wo wir hinsehen, von persönlichem und globalen Unglück, von Krankheit, Armut, Katastrophen, Zerstörung, Vertreibung und Krieg umgeben sind? Müssen wir nicht ganz realistisch der Erkenntnis Sigmunds Freunds folgen, der festgestellt hat: „Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten“.
Andererseits gibt es so viele Menschen, die zumindest behaupten, dass sie nach Glück streben, dass man dieses Bemühen nicht als überflüssig abtun kann. Vielleicht hat das Steben nach Glück im Sinne Darwins sogar einen Überlebensvorteil. Könnte es nicht sein, dass nach Glück strebende Menschen sich in den Millionen Jahren häufiger vermehrt haben? Hat sich daher, dieses Steben so lange erhalten?
Immer wieder wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass das Glücklichsein gesundheitsförderlich ist. Schon Voltaire war im 18. Jahrhundert davon überzeugt, dass das persönliche Glücksgefühl mit der eigenen Gesundheit in Verbindung steht. Von ihm wird das berühmte Zitat überliefert: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen glücklich zu sein.“ Heute ist dieser Zusammenhang wissenschaftlich nachgewiesen. Wenn wir glücklich sind, kann man in unserem Blut mehr T-Zellen nachweisen, die eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Krankheiten spielen.
Darüber hinaus kennen wir noch andere positive Nebeneffekte, die mit dem Glück in Verbindung gebracht werden:
- Mit glücklichen Menschen ist man lieber zusammen, als mit unglücklichen. Sie haben einen größeren Freundes- und Bekanntenkreis. Sie bekommen mehr Unterstützung.
- Glückliche Menschen sind kreativer und erfolgreicher. Denn wie Albert Schweizer schon sagte: „Erfolg ist nicht der Schlüssel zum Glücklichsein. Glücklichsein ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn du das, was du tust liebst, wirst du erfolgreich sein.“
- Glückliche Menschen sind eher hilfsbereit. Auch das ist in empirischen Untersuchungen erwiesen.
Tatsache ist, dass wir weitgehend wählen können, ob wir eher glücklich oder unglücklich sein wollen. Tausende von Büchern geben uns Anleitung, wie wir glücklich sein können – wir müssen uns nur an diese Regeln halten. Abraham Lincoln, der 16. Präsident der USA, ist sogar überzeugt: „Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben.“
Allerdings möchte ich hier noch ein letztes Mal einen Philosophen zitieren, der vor ca. 2000 Jahren sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt hat. Es handelt sich um Seneca. Er war ein Zeitgenosse Christi und lebte als Philosoph, Politiker und Naturforscher in Rom und war „der meistgelesene Schriftsteller seiner Zeit“ (Wikipedia). Er meinte in seinem Buch „Vom glückseligen Leben“:
„Glückselig zu leben … wünschen alle, aber um zu durchschauen, was es sei, wodurch ein glückseliges Leben bewirkt werde, dazu sind sie zu blödsichtig. Und zu einem glückseligen Leben zu gelangen, ist eine so gar nicht leichte Sache…“
Was sollen wir also tun?
Wie halten Sie es mit dem Streben nach Glücklich-Sein?
Dürfen wir das?
Können wir das überhaupt?
Ist das ein vertretbares Lebensziel?