Weihnachten 2023
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Ich spare mir all die Krisen im Einzelnen zu beschreiben, die uns das bald vergangene Jahr beschert hat. Zu dem Krieg in der Ukraine kam der Krieg zwischen den Juden und Palästina, dann noch, die unübersehbare Tatsache, dass die Rechtspopulisten zunehmend an Kraft gewinnen, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, wo wir befürchten müssen, dass Donald Trump noch einmal Präsident wird, mit unabsehbaren Folgen auch für Europa. Gar nicht zu reden von der Klimakrise, dem Artensterben und die Müll- und Plastikbelastung unseres Planeten. Wir befinden uns in einer geschichtlichen Phase voller düsterer Aussichten, voller Krisen, voller Gefahren.
Aber haben wir nicht gelernt, dass Krisen auch produktive Kräfte aktiviert, dass in ihr oft schon die Wurzel zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation liegt? Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus den Zeichen von zwei Worten zusammen, das eine bedeutet Gefahr und das andere Chance, Gelegenheit.
Wenn wir akzeptieren, dass in jeder Krise eine Chance liegt, dann verliere wir nicht die offene, auch positive Sichtweise auf diese Welt und sie ist Voraussetzung dafür, dass unsere produktiven Kräfte aktiv werden. Marcel Baumert meint, dass „dein Herz besser durch die Krise führt, als deine Augen“. Das erinnert mich an Antoine de Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ oder an den Wissenschaftler und Psychologen Prof. Dr. Julius Kuhl, der dem weitgehend unbewussten „Extensionsgedächtnis“ viel mehr kreative Lösungskompetenz zutraut, als dem bewusst arbeitenden Intentions- oder Absichtsgedächtnis.
In meinen Recherchen zum Thema Resilienz habe ich entdecken können, dass in uns Menschen, als Spezies und als Individuum viel mehr Widerstandkraft und positive, kreative, lösungsorientierte Phantasie steckt, als wir uns normalerweise bewusst sind.
Daraus schöpfe ich meinen Optimismus hinsichtlich unserer Zukunft, wobei ich mir nicht sicher bin, ob wir bereits den Tiefpunkt erreicht haben, aus dem heraus es wieder bergauf geht, vielleicht muss zunächst noch alles viel schlimmer werden, aber ich bin mir sicher, dass die Wende zum Besseren nicht mehr zu lange auf sich warten lässt.
Ich weiß nicht, wie optimistisch meine Eltern vor über achtzig Jahren waren, als sie beschlossen hatten, noch einmal ein Kind haben zu wollen. Ich wurde in den schlimmsten Kriegsjahren geboren. Wer konnte damals ahnen, dass ich über mehr als acht Jahrzehnte eine Zeit des fast ununterbrochenen Aufschwungs und Friedens in Deutschland erleben würde. Wenn meine Eltern damals wenigstens so optimistisch waren, dass sie mich bewusst in diese Welt setzten, dann sollte ich im Vergleich zu damals mindestens auch nicht pessimistisch und verzweifelt sein.
Ich zitiere Max Frisch, wenn ich der Überzeugung bin: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Eine Katastrophe lähmt uns, macht uns hilflos und trägt die Gefahr in sich, dass wir passiv alles über uns ergehen lassen, ohne unsere kreativen Kräfte zu aktivieren.
Lassen Sie uns zuversichtlich sein. Ich habe in meinem langen Leben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es nie so schlimm wird, wie wir es uns in unserer Verzweiflung vorstellen und – ich wiederhole mich bewusst – dass in jeder Krise eine Chance liegt.
Wie sagt Oscar Wild: „Am Ende wir alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!“
Ich wünsche Euch allen ein geruhsames, liebevolles Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein gesundes, friedliches 2024 mit vielen Glücksmomenten.
Jens-Uwe Martens